Was ist wirklich wichtig im Leben? Neuordnung der Prioritäten nach dem Krebs?!
- Michael Meier
- 22. Sept. 2018
- 5 Min. Lesezeit
Das Leben kann sehr schnell zu Ende sein und dauert nicht ewig – mit dieser Endlichkeit konfrontiert zu sein, verändert einen Menschen. Es kann eine Chance für einen (vielleicht längst überfälligen) Neuanfang sein. Glücklicher ist man manchmal halt auch, wenn man in kürzeren Etappen denkt, statt immer nur langfristig zu planen. Eine lebensbedrohliche Erkrankung wie Krebs kann auch Anlass sein, Bilanz zu ziehen und sich neu zu orientieren. In unserer Gesellschaft ist man so viel mit Alltagspflichten beschäftigt, dass man nach und nach das Gefühl für sich selbst verliert und nicht mehr weiß, was einem eigentlich glücklich macht. Von Anfang an haben wir gelernt, dass zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen kommt. Wir stehen ständig unter Strom und wollen bzw. müssen rund um die Uhr funktionieren. Der stetig präsente Leistungsdruck wird entweder schon als Normalität empfunden, oder führt im schlimmsten Fall zu Depressionen oder anderen Erkrankungen. In unserer kapitalistischen Welt ist das der Standard – so läuft es heutzutage nun mal. Aber muss man all diese Spielchen auch tatsächlich mitmachen? Wir wollen bzw. müssen immer so sein wie andere uns gerne hätten, aber ist das nötig? Wie oft reden wir uns selbst ein „man muss halt …“, auch weil es uns immer so eingetrichtert wird?! Man muss einen Scheiß – sterben muss man, sonst nichts! Die Prioritäten können sich verschieben, auch vollkommen über den Haufen geschmissen werden.
Nehmen wir zum Beispiel das Thema Job – wie erreicht man hier Zufriedenheit? Einen sicheren Job ohne Angst auf Kündigung – definitiv ja! Erfolg und steile Karriere im Job? Gute Frage! Was genau ist denn Erfolg? Stellen wir mal eine Durchschnittsarbeitszeit „A“ von 40 Stunden die Woche und eine Arbeitszeit „B“ von 60+ Stunden gegenüber. Ist B jetzt tatsächlich glücklicher, weil er dadurch ein paar Euro mehr verdient? Okay, sein Haus hat er vielleicht ein paar Jahre früher abgezahlt, fährt ein dickeres Auto und macht Urlaub auf den Malediven statt auf Mallorca. Aber das Geld mit ins Grab nehmen kann auch er nicht. Und Geld hin oder her, wieviel hat er tatsächlich von seiner Familie, seinen Freunden und seiner Freizeit im Leben gehabt? Was passiert, wenn B mit 40 Jahren an Krebs stirbt? Wäre es ihm und seiner Familie nicht lieber gewesen, er hätte mehr Zeit für eben jene gehabt? Jeder sollte sich mal die Frage stellen, was ihm wirklich wichtig im Leben ist – und das kommt eben bei einer tödlichen Krankheit automatisch. Es gibt einen Satz aus der Fernsehserie „Stromberg“, den ich jedem nur ans Herz legen möchte: „Wenn du im Sterbebett liegst wirst du niemals sagen – ach wäre ich doch öfters ins Büro gegangen“. Ich für meinen Teil muss keine Fantasiegehälter mehr anstreben, muss nicht mehr zwanghaft in irgendeine Führungsposition gelangen und dafür Überstunde um Überstunde schieben. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich deshalb schlechtere Arbeit abliefern würde. Ich weiß durchaus was ich wert bin, was ich kann und darauf kann sich mein Arbeitgeber auch immer verlassen. Ich habe durchaus viel Spaß an meiner Arbeit und gehe nicht nur zum Geldverdienen in die Firma …, aber mein eigentliches Leben spielt sich trotzdem außerhalb vom Büro ab. Mein Gehalt muss reichen um mein Haus abzuzahlen, den Kühlschrank zu füllen, Urlaub und Hobbies finanzieren und nicht jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen. Natürlich gibt es auch Menschen für die Beruf gleich Berufung ist, aber auch die denken im Sterbebett (wenn es zu spät ist) vielleicht anders über ihre verbrachte Lebenszeit nach. Nicht jeder Mensch muss diese Einstellung dazu teilen, aber etwas Bescheidenheit und Zufriedenheit würde so manch einem durchaus gut zu Gesicht stehen.
Welche Prioritäten haben sich also tatsächlich nach der Krebstherapie bei mir verschoben, welche Erkenntnisse nehme ich mit in meine restliche Lebenszeit? - Job (wie oben ausgeführt) – arbeiten, um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten! - Was und Wer mir nicht gut tut, versuche ich links liegen zu lassen! - Habe ich soziale Kontakte und Hobbies aus Zeitmangel vernachlässigt? -> schleunigst ändern! - Nicht mehr „wir könnten mal“, sondern „wir machen das jetzt“! - Durchaus natürlich auch sparsam sein, aber das Geld auch für Erlebnisse und Erinnerungen ausgeben! - Kleine Dinge wie z. B. Musik und Natur viel mehr genießen und intensiver wahrnehmen! - „Nein“ sagen können! - Ich muss mich nicht immer für alles Mögliche rechtfertigen! - Echte Freundschaften sind fürs Leben – diese muss man auch pflegen, weil sie es wert sind! - Ein größeres „Leck-mich-am-Arsch-Gefühl“ entwickeln! - Schlechte Laune verursacht oft genug auch schlechte Gesundheit. Ich will so weit es geht Harmonie in der Bude! - Die Zeit mit den wichtigen Menschen in meinem Leben genießen – man kann die Uhr leider nicht zurückdrehen!
Leider bringt der Krebs die gesamte Lebensplanung durcheinander – nichts ist mehr so, wie es früher war. Der Kampf gegen den Krebs war (Stand jetzt) erfolgreich, jetzt folgt aber leider ein weiterer Kampf. Wie lebt es sich mit den körperlichen und seelischen Narben? Es gibt Tage, da denke ich mir, es wäre manchmal leichter, man würde mir die Krankheit bzw. deren Folgen irgendwie äußerlich ansehen. Dann würde niemand fragen, warum man nicht schon längst wieder in Vollzeit arbeitet und sonstige Aktivitäten wieder ausführen kann. Man sieht mir ja äußerlich erst mal nichts an. Niemand wäre verwundert, wenn ich Einladungen und Treffen absagen muss und ohne ersichtlichen Grund müde werde. Doch so verstehen leider die wenigstens, wie ich mich oft genug fühle. Jeder Tag bedeutet einen Kampf gegen eine chronische Erschöpfung, „Fatique“ genannt. Sie ist unter anderem der Tribut dafür, dass ich den Kampf gegen den Krebs gewonnen habe. Der Krebs gilt als geheilt, das bedeutet aber auch, mit den Folgen der Krankheit zu leben – das Überleben hat einen hohen Preis. Jede Operation, Chemo, Bestrahlung und Medikamente hinterlassen Spuren an Körper und Seele – ein Bündel an Nebenwirkungen, teils ein Leben lang. Auch soziale und finanzielle Probleme können auftreten, dazu möchte ich aber in ein paar Wochen speziell darauf eingehen. Existenzängste und die ständige Angst vor der Rückkehr der Krankheit sind auch nicht wirklich förderlich bei der Heilung und Genesung. Die Fatique, der chronische Erschöpfungszustand ist für die Umwelt oft ein Problem, auf das mit Unverständnis reagiert wird. Oft genug habe auch ich schon Sprüche gehört wie: „Du bist doch geheilt, du schaust doch gesund aus – lass dich nicht so hängen und funktioniere wieder“. Ich bin ganz sicherlich das Gegenteil von einem Menschen, der sich hängen lassen würde. Nach meiner Reha habe ich so schnell wie möglich wieder versucht Vollzeit zu arbeiten. Ums kurz zu machen, der Schuss ging nach drei Monaten leider gehörig in die Hose. Sich selbst einzugestehen, dass man einfach noch nicht so weit ist, ist alles andere als leicht. Und Geduld ist leider nicht wirklich eine meiner Stärken. Durch eben diese Geduld und harte Arbeit geht es aber zum Glück auch stetig bergauf – ein jungfräulicher Prä-Krebs-Zustand wird freilich nie wieder erreicht werden, aber das Schicksal muss man annehmen, auch wenn der Krebs den ursprünglichen Lebensplan erst mal zerstört hat.
Fragen tauchen auf, die vor der Diagnose vielleicht auch leise da waren, aber jetzt auf einmal brisant und laut werden: Wie will ich in Zukunft mein Leben gestalten und was ist wirklich wichtig im Leben – eben „Prioritäten“.
*Fortsetzung folgt!*

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